Predigt zum Dreifaltigkeistsonntag
Das unsagbare Mysterium der Liebe
Sie gilt als einer der Höhepunkte der russischen Malerei, die
Anfang des 15.Jahrhunderts entstandene Dreifaltigkeitsikone von Andrei
Rubljow, die heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt ist.
Das Bild der Heiligen Dreifaltigkeit wird anhand einer Szene aus dem
Alten Testament dargestellt: dem Besuch der drei Engel bei Abraham und
Sara, die ihnen die Geburt des Erstgeborenen vorhersagten (vgl. Gen 18,
1-15). Die Gestalten sitzen um den Tisch-Altar auf dem sich ein Kelch
befindet. Ihre Körperhaltung bildet einen offenen Kreis. Die
Engelsflügel berühren einander und vermitteln so den Eindruck von
Gemeinschaft und Einheit.
Viele Deuter der Ikone sehen in der mittleren Person Gott Vater.
Er segnet mit seiner Hand den Kelch. Der sich hinter ihm befindende Baum
weist auf den Lebensbaum im Garten Eden hin. Sein Blick ist auf die zu
seiner Rechten sitzende Gestalt gerichtet. Es ist der Sohn, dessen Hand
auf den Kelch zeigt. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er die Sendung,
für die er bestimmt ist, annimmt. Das Haus hinter seinen Rücken bedeutet
die Kirche; es kann aber auch an die Worte Jesu erinnern: „Im Hause
meines Vaters gibt es viele Wohnungen. […] Ich gehe, um einen Platz für
euch vorzubereiten.“ (Joh 14, 2) Der Sohn schaut auf die dritte Person,
in der wir die Gestalt des Heiligen Geistes erkennen können. Über ihm
sieht man einen Berg- eine Anspielung auf den Felsen in der Wüste, aus
dem das Wasser floss (vgl. Ex 17, 1-7). Der Heilige Geist also als
Lebensquelle und Lebensspender. Seine Augen schauen hinunter auf eine
viereckige Öffnung im Altar, die unsere Welt symbolisieren kann. Der
vierte Platz am Tisch ist unbesetzt. Der Betrachter der Ikone kann sich
eingeladen fühlen, diesen Platz im Leben der Trinität einzunehmen.
Das Geheimnis der Dreifaltigkeit
Rubljows Ikone ist nur ein Versuch, sich dem unsagbaren,
unbegreiflichen und unendlichen Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit
zu nähen. Auch das heutige Evangelium, das ein Abschnitt der sogenannten
Abschiedsreden Jesu ist, beschäftigt sich mit diesem Thema.
Die Jünger Jesu, aber auch die Christen an die sich das Ende des
1. Jahrhunderts entstandene Johannesevangelium wendet, sind nicht in
der Lage, all das, was Jesus offenbart und in seinem Wirken gegenwärtig
setzt, zu begreifen. „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt
es jetzt nicht tragen.“(Joh 16, 12) Jesus versichert nun: „Wenn aber
jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit
führen.“ (Joh 16, 13) Im Griechischen heißt diese Stelle: „der Geist der
Wahrheit wird euer Wegführer sein in der Wahrheit.“ In Jesus Christus
erkennen wir das wahre Antlitz des Vaters (vgl. Joh 1, 18). In diese
Wahrheit führt der Heilige Geist die Christen ein und wird sie auch
vertiefen. Dieser Geist ist die Frucht des Paschamysteriums, die Gabe
des Auferstandenen an alle, die an ihn glauben. Der Sohn offenbart, was
er vom Vater gehört hat und der Geist erinnert, erklärt und hält all das
lebendig, was Jesus gesagt hat. Nur so ist es auch uns möglich, an dem
Geheimnis des Sohnes und über ihn an dem Geheimnis des Vaters
teilzunehmen. Das bringt auch das heutige Tagesgebet zur Sprache:
„Himmlischer Vater, du hast dein Wort [Jesus Christus als das Wort des
Vaters] und deinen Geist in die Welt gesandt, um das Geheimnis des
göttlichen Lebens zu offenbaren.“
Der trinitarische Gott ist die Liebe
Worin besteht nun das tiefste Geheimnis des göttlichen Lebens? Es
ist Liebe. Sie ist gleichzeitig „das grundlegende Sprachmuster, mit dem
wir über Gott weiterdenken können.“(Walter Kirchschläger) Liebe ist
Beziehung, sie braucht ein existierendes „Du“, sie beinhaltet
Gemeinschaft und Selbsthingabe. Wo Liebe lebt, gibt es keinen Raum für
Konkurrenz, Neid und Eifersucht. Das Geheimnis der göttlichen Liebe kann
man nicht begreifen, es entzieht sich unserem Denken. Menschliches
Sprechen vermag es nicht angemessen auszusagen. In der Dreifaltigkeit
begegnen wir zwei Personen, die einander lieben, durch diese Liebe und
in ihr eins sind. Versuchen wir es so zu beschreiben: der Vater ist der
Liebende, der Sohn der Geliebte und der Geist die personifizierte Liebe
zueinander- drei Personen eins in der -und durch die Liebe.
Die Liebe bleibt nicht nur in Gott, sie ist auch seine
leidenschaftliche Beziehung zu den Menschen. Der dreifaltige Gott sucht
Gemeinschaft mit uns, schenkt uns seine Nähe, nennt uns Freunde und
lässt uns an seinem Leben teilhaben. „Denn Gott hat die Welt so sehr
geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab[…].“( Joh 3, 16) und „Die
Liebe Gottes wurde uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn
in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Nicht darin besteht
die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt
hat[…].“ (1Joh 4, 9-10) Wenn wir diese Liebe weitergeben dürfen, ist das
nicht unser Verdienst, sondern Gottes Geschenk. Mit der Liebe geben wir
gleichsam IHN selbst weiter.
Die Liebe Gottes erfahren, leben und weiterschenken
Das heutige Fest der Dreifaltigkeit lädt uns ein, das tiefste
Mysterium unseres Gottes, seine Liebe, von neuem zu erahnen und in der
Erfahrung dieser Liebe zu wachsen. Versuchen wir in der Stille des
persönlichen Gebetes in das Geheimnis der Trinität einzutauchen. Öffnen
wir uns ihm bei der Feier der Eucharistie, in der Erfahrung liebender
Barmherzigkeit im Sakrament der Buße, durch das Lesen der Heiligen
Schrift. Entdecken wir es in der christlichen Nächstenliebe…
Als Christen sind wir aufgefordert diese Liebe des Vaters, die
uns in Jesus Christus offenbart wurde und durch den Heiligen Geist in
unsere Herzen ausgegossen ist(vgl. Röm 5,5), durch unser Leben, unser
Glaubenszeugnis an andere Menschen weiterzuschenken, damit auch sie das
Geheimnis des göttlichen Lebens erahnen und als sein Geschenk erfahren
können.
Nehmen wir so den Platz ein, den Adrei Rubljow auf der Ikone für
jeden von uns freigelassen hat. Machen wir uns neu bewusst, dass Gott
uns in seine Dreifaltigkeit hineinnehmen will. Wir dürfen, ja sollen in
Gott, mit Gott und aus Gott leben, schon heute, nicht erst in der
Ewigkeit.
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